Kompetenzstelle Trauer

Die Kompetenzstelle Trauer ist eine Anlauf- und Servicestelle für alle Trauenden und ihre BegleiterInnen, unabhängig von Religionszugehörigkeit und Nationalität. Sie arbeitet eng mit dem Mobilen Hospiz Dienst der Caritas, der Telefonseelsorge, der Krankenseelsorge, der Pfarrcaritas und dem Bildungshaus St. Benedikt zusammen.

Wir... 

  • …vermitteln persönliche Beratung und andere Angebote für Trauernde
  • …vermitteln bzw. bieten Weiterbildung für TrauerbegleiterInnen an
  • …vernetzen uns mit anderen Stellen und Angeboten der Trauerbegleitung
  • …sehen uns als Drehscheibe
  • …sensibilisieren und bilden zum Thema Tod und Trauer

Wir unterstützen Trauernde

Zeit, die ihnen ermöglicht, ihren Trauerprozess im eigenen Tempo zu durchwandern. Raum, in dem sich Trauernde verstanden fühlen: vom ersten „Nicht-wahr-haben-Wollen“ bis zum Annehmen der Wirklichkeit. Trauer darf fließen, Beziehung wandelt sich und die Liebe darf bleiben. 

… vor allem in der Zeit, in der die Wirklichkeit noch nicht zum Fassen ist: ein geliebter Mensch ist gestorben, der Tod ist noch nicht zu begreifen. Hier ist es wichtig, dem Trauernden an der Seite zu stehen, Halt und Sicherheit zu geben. Den Trauernden soll die Möglichkeit (an)geboten werden, sich vom Toten zu verabschieden, ihn noch einmal zu sehen, zu berühren umso das Abschiednehmen und das Realisieren des eingetretenen Todes zu unterstützen. Fehlen unterstützende Menschen im eigenen Umfeld, bieten unter anderem die Angebote des mobilen Hospizdienstes, der Pfarrcaritas und die Seelsorge eine hilfreiche Begleitung.

… dies können wir grundsätzlich, denn jede menschliche Seele hat alle Voraussetzungen inne, um das Weiterleben nach einem tragischen Verlust zu bewältigen. Verena Kast und J. William Worden sprechen hier von Trauerphasen.
 

Der folgende Text bezieht sich auf die Erfahrungen von der Trauerexpertin Chris Paul, sie spricht von den verschiedenen Facetten des Trauerns oder auch dem „Kaleidoskop des Trauerns“.


Die Facetten des Trauerns sind zwar nachfolgend einzelnen Begriffen und Themen zugeordnet, können jedoch im Trauerprozesses zur gleichen Zeit präsent sein – darum spricht Chris Paul auch vom Kaleidoskop des Trauerns: Facetten und Farben mischen sich, und sind manchmal auch zeitgleich vorhanden.

Der Trauerweg ist keine gerade Linie, er stellt sich vielmehr als eine Spirale oder ein Labyrinth dar. Jeder trauernde Mensch geht seinen eigenen Weg, und dies im eigenen Tempo. Es gibt kein konkretes Ziel, Trauer muss nicht „vorbeigehen“, aber die Kreise werden weiter und es kommen immer mehr und neue Facetten des Lebens dazu.


Am Beginn des Trauerweges steht oft das pure Überleben (gekennzeichnet durch die Farbe Rot im Kaleidoskop) – im Sinne von Kraft schöpfen, versorgen, aushalten. Hier sind Menschen hilfreich, die Halt und Sicherheit geben und einfach da sind und Alltagsaktivitäten sowie praktische Hilfen anbieten: gemeinsame Spaziergänge unternehmen, einkaufen gehen, Essen kochen, auf die Kinder schauen …

Die Wirklichkeit begreifen (durch die Farbe Dunkelgrau dargestellt) und leben dürfen zeichnet sich dadurch aus, immer wieder darüber sprechen dürfen, die Geschichte des Abschieds wiederholen zu dürfen, von anderen Erlebtes hören, sich austauschen können. Hilfreich zum Realisieren sind auch jene Informationen, die bezeichnen, woran und wie jemand gestorben ist. Durch ein klares Benennen des Todes wird „greifbarer“, dass jemand gestorben ist, und nicht „gegangen oder eingeschlafen“. Der Tod wird ein Stück wirklicher. Die Gestaltung vom Begräbnis oder einem Abschiedsritual kann hierbei unterstützend wirken.
 

Es ist eine Vielzahl von Gefühlen im Trauerprozess enthalten (durch die Farbe Dunkelrosa symbolisiert): intensiv und stark aber auch zart und zärtlich können sich diese Emotionen zeigen. Angst, Wut, Ohnmacht, Schmerz, Sehnsucht, Liebe, Verzweiflung, Erleichterung, Dankbarkeit stellen einen facettenreichen Ausdruck dieser Gefühle dar. Und auch wenn diese Gefühle sehr verwirrend sind: sie sind wichtig, elementar, und in ihrer Herausforderung dennoch hilfreich, um den Verlust zu bewältigen.
 

Folgende Gefühle können sehr hilfreich sein, wenn ihnen einen Ausdruck dafür gegeben wird:

Traurigkeit und Verzweiflung und auch Sehnsucht können sich in oder durch Tränen einen Weg bahnen, oder auch im Rückzug durchlebt werden. Wut, Hilflosigkeit und Abwehr zeigt sich sowohl durch Schreien und Streit oder aber in Schweigen und in der Abwendung.

Sehnsucht kann in Grabbesuchen, Trauertagebuch schreiben, Erinnerungskisten, einen Gedenkort und Fotoalben gestalten, Ausdruck verliehen werden. Liebe und Dankbarkeit können sich in Erzählungen und Ritualen wiederfinden.

Manchmal verwandelt sich Seelenschmerz in Körperschmerz, z.B.: Kopfschmerzen, Magenkrämpfe, auch das physische Herz kann sich „schwer fühlen und stolpern“, Atemnot, Beklemmungsgefühl und starkes Frieren kann sich ebenfalls körperlich zeigen. Finden diese Seelenschmerzen einen anderen Ausdruck, können auch Körperschmerzen langfristig wieder in den Hintergrund treten. 
 

Nach dem Tod eines nahen Menschen ändert sich das eigene Leben, Trauernde sind gezwungen, sich den Veränderungen anzupassen (durch die Farbe Grün symbolisiert), und neue Wege für den Alltag, neue Rollen und neue Aufgaben im eigenem Leben zu finden. Es kostet Kraft sich im veränderten Leben zurechtzufinden, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und das veränderte Leben anzunehmen. Freude über neue Talente kann aufkommen.
 

Die Verbundenheit mit dem Verstorbenen (bezeichnet durch die Farbe Gelb) ist für viele Trauernde ein Sonnenstrahl. Man muss nach dem Tod auf die körpergebundene Gemeinsamkeit verzichten und sich mit der über den Tod hinausgehenden Bindung begnügen – die Liebe/Verbundenheit bleibt im Herzen und nicht in der realen Beziehung bestehen. Erinnerungen und Geschichten ermöglichen ein Gefühl von dieser Verbundenheit. Träume und „Zeichen“ schaffen ein Gefühl von innerer Verbindung. In manchen entscheidenden Momenten sind Verstorbene ganz präsent im eigenen Leben – unterstützend und freundlich, spürbar und Rat gebend. Verstorbene waren jedoch „normale, echte“ Menschen – mit all ihren Licht– und Schattenseiten. Im Trauerprozess erleben wir ebenfalls beide Seiten: die beängstigenden wie auch die beglückenden Seiten. Beide Seiten schaffen innere Bindungen. Es ist wichtig, danach zu suchen, was bleiben soll und dem, was in den Hintergrund treten darf. 
 

Zuletzt geht es darum, die neuen Erfahrungen in das eigene Leben einzuordnen (ausgedrückt durch die Farbe Blau), denn die Neubewertung der Vergangenheit färbt den Blick auf die Gegenwart und hat eine Auswirkung auf die Zukunft. Grundüberzeugungen, die man in sich getragen hat, sind vielleicht nicht mehr stimmig. Deshalb ist es wichtig, um als guter Ausgangspunkt für wachsende Lebensfreude bedeutend zu sein, Vergangenheitsdeutungen wie Freud und Leid nebeneinander stehen zu lassen.

...Arbeitsplatzverlust, Trennung und Scheidung, Verlust, Tod, unerfüllter Kinderwunsch, aber auch nicht „betrauerte Abschiede“ aus früheren Erleben können ebenfalls schwerwiegende Verluste darstellen und Trauerprozesse auslösen.

So unterschiedlich Menschen und Beziehungen sind, so unterschiedlich und vielschichtig sind auch die Trauerverläufe. Manchmal mächtig oder lähmend, sie können aber auch erlösend wahrgenommen werden. Eine Fülle von unterschiedlichen Gefühlen und Reaktionen füllen unser Leben, in intensiver Weise, wie sonst selten in anderen Zeiten wahrgenommen.

Verschiedensten Angebote für Trauernde ermöglichen Trauernden eine Unterstützung zu erhalten.  In Form von Einzeltrauerbegleitung, Trauergruppen, Trauerstationen, Seelsorge, oder auch im Rahmen des Trauer Cafés wird diese Unterstützung angeboten. 

Seminare und Fortbildungen zum Thema Tod und Trauer ermöglichen ebenfalls eine bewusste Auseinandersetzung, um eine stimmige Lebenshaltung zu diesen Themen zu finden, und das Leben auch deshalb bewusster zu gestalten.

 

Literaturnachweis:
Chris Paul, Ich lebe mit meiner Trauer
Gütersloher Verlagshaus 2017

Gerti Ziselsberger

Leitung

Schulgasse 10

3100 St. Pölten

„Der Tod hat mich immer nur ans Leben erinnert”

Portrait von Robert Kratky

© Philipp Lipiarski © Philipp Lipiarski

Ein Leitgedanke in der Hospizarbeit nach Cicely Saunders ist: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zu geben“. Was bedeutet für Sie Lebensqualität?

Das Leben selber zu genießen, und zwar soweit es irgendwie geht, sich nichts zu versagen, nichts auf später zu verschieben, aber natürlich das Ganze in einem klugen Abwägen der Leistbarkeiten und der Möglichkeiten, ist für mich ein grundsätzliches, sinnstiftendes Lebenskonzept. Ich muss dazu sagen, ich habe meinen Vater schon sehr früh verloren und habe schon sehr früh begonnen, über solche Dinge, wie den Tod und das Sterben, nachzudenken. Daher sind solche Gedanken für mich weder erschreckend noch überraschend. Ich habe sogar Dinge, die für den Fall meines Ablebens notwendig sind, bei mir komplett vorbereitet in einer Schublade. Bis hin zur Todesanzeige ist alles fertig. Für mich war es immer ein tröstlicher Gedanke zu wissen, wie es endet. Zumindest, soweit es in meiner Hand liegt. Der Tod hat mich immer nur ans Leben erinnert und daran, wie wichtig es ist, es zu nutzen.

Haben Sie Angst vor dem Altern oder dem Sterben?

Ich habe Angst vor Schmerzen und vor Demenz. Ich habe das bei der Großmutter meiner Exfreundin miterlebt, die ich immer wieder mal besucht habe. Wie es ist, wenn alles verloren geht, was eigentlich sinnstiftend hätte sein sollen. Wie bei einer Perlenkette, die man irgendwann mal in seinen Händen hält, und mit jeder Perle blickt man zurück, um sich daran zu erfreuen. Wenn diese Kette plötzlich reißt und die Perlen verschwinden in den Ritzen und Löchern des Fußbodens - furchtbar, also das sind Dinge, vor denen hab ich tatsächlich Angst. Vor dem Tod selber oder davor, dass mein Leben endet, nicht die Bohne.

Haben Sie Wünsche an den letzten Lebensabschnitt, sofern man diesen bewusst mitgestalten kann?

Aus heutiger Perspektive würde ich gerne alleine sterben, weil ich tatsächlich glaube, dass es besser zu mir passt. Das ist eine Überlegung, die, glaub ich auch, tatsächlich halten wird. Ich halte den Tod nicht für etwas, das noch Jahrzehnte weg ist, sondern ich habe mich immer so damit beschäftigt, als könne es morgen passieren. Aber jeder Mensch sollte individuell das Recht haben zu entscheiden. Deswegen halte ich Betreuung für etwas Wertvolles und die Menschen, die dafür sorgen, für bewundernswert. Außerdem möchte ich an einem Ort mit Ausblick sterben, ich möchte etwas sehen. Das man dabei im Freien sein kann und vielleicht ein Stück Himmel sieht, Berge oder Wasser. Das ist meine Grundvorstellung davon, wie das Sterben auszusehen hat. Ich überlege auch sehr oft, was wäre der letzte Song, den ich mir noch anhören würde: Die Neunte von Beethoven. Es muss Klassik sein, weil ein Orchester nun mal eine weitaus höhere und intensivere Dimension im Kopf und im Herzen schafft, als jede andere Art von Musik. Und ganz, ganz wichtig: Die Neunte hat keinen rechten Schluss. Das Unangenehme bei der Neunten, wenn man sie zu Lebzeiten hört, ist, sie schließt nicht ab. Es rinnt hinten so ein bisschen aus, und geht noch minutenlang dahin, ohne echtes Highlight. Nachdem ich mir den Tod immer vorstelle, als ein langsames Entschwinden, wäre das ein ideales Stück Musik.

Es gibt ein Buch der Palliativpflegerin Bronnie Ware „5 Dinge, die Sterbende am Meisten bereuen“, kennen Sie dieses Buch?

Ich kenne es nicht im Detail, aber ich weiß „mehr Zeit für Familie, weniger Arbeiten, etc. etc“. Ich betrachte es eher kritisch, denn für mich hat Arbeit immer einen enormen Teil meines Lebens ausgemacht. Ich bin sehr pflichtversessen und ich halte es für ein sehr wichtiges Lebensprinzip, mich meiner Arbeit zu widmen. Ich werde es niemals bereuen. Diese Arbeit hat mir mein Leben ermöglicht, so, wie ich es leben wollte und hat mir meine Träume erfüllt. Ich glaube aber, dass es für das Leben und für
das Ableben wichtig ist, dass man beides bewusst tut und sich für beide Fälle einen Plan zurecht gelegt hat. Ich glaube, es ist wichtig, sich mit dem Tod auseinander zu setzen, weil er zum Leben dazu gehört und das Leben erst lebenswert macht. Aber man sollte das Leben auch tatsächlich lebenswert gestalten, sei es mitkleinen oder großen Dingen. Das Leben ist wertvoll, das ist für mich die einzige Botschaft, die der Tod hinterlässt.

Man hat den Eindruck, dass Sie ein sehr intensives und bewusstes Leben führen, aber gibt es dennoch offene Wünsche für Sie?

Tausende natürlich. Ich würde gerne noch einmal völlig von vorne beginnen, mit etwas völlig anderem und da auch erfolgreich sein. Ich hätte gerne, dass Menschen, die mich heute nicht so mögen, sagen, ist ja eh ein netter Kerl. Es gibt Bücher, die ich noch nicht gelesen habe. Es gibt Filme, Länder, Städte, Menschen, usw., die mich noch interessieren. Das ist ja leider das Tragische, das man als jemand, der darauf bedacht ist, sein Leben mit möglichst viel Inhalt zu füllen, angesichts der
gebotenen Vielfalt, irgendwie verzweifeln muss.

Im Hospizbereich hat man das Gefühl, dass bei Menschen, die über die Endlichkeit nachdenken oder sich selbst in der letzten Lebensphase befinden, sehr Wesentliches hervorkommt: Die Rollen fallen weg, die Masken fallen ab. Haben Sie in Ihrem Leben das Gefühl, mit Rollen, Masken konfrontiert zu sein?

Wer wir sind, wissen wir immer erst in unseren extremsten Lebenssituationen. Meine Mutter hat die Maske oder besser gesagt den Wesenszug der schieren, völlig selbstlosen Mütterlichkeit in dem Augenblick abgelegt, wo sie das Gefühl gehabt hat, die Kinder lassen los. Auf einmal konnte sie sie selbst sein. Der Augenblick als sie gesagt hat: „Es reicht, nicht noch eine Chemo. Ich gehe nicht mehr nach Hause nach Salzburg, sondern in ein Hospiz.” Sie ruft mich an und sagt: „Ich will jetzt bald gehen.” Wir haben noch gescherzt, denn meine Mutter hatte einen sehr schwarzen Humor. Ich habe noch gesagt „Mutti, das kostet 150 Euro am Tag, je früher, desto besser.“ Wir haben beide schallend gelacht. Es war wirklich lustig, aber zwei Tage später ist sie gestorben.

Können Sie Trauer in einer für Sie passenden Form Ausdruck verleihen?

Ich bin niemand, der weint, weil jemand stirbt. Ich neige nun mal nicht dazu, mich selber zu bemitleiden. Diesen Charakterzug habe ich nie gehabt und habe ihn mir nie oder nur selten durchgehen lassen.
Ich trauere tief, wenn ich sehe, dass jemand leidet. Wenn ich sehe, wie nah der Tod meiner Mutter meinen Geschwistern geht, dann ist es etwas, das mich zutiefst traurig macht. Aber der Tod meiner Mutter  nach einem langen erfüllten Leben – wo sie dann selbst am Schluss, in ihren letzten Gesprächen, gesagt hat: „Ich bin so stolz auf alles, was war, und froh und dankbar, und ich will jetzt einfach nur gehen.” Da denke ich mir „alles klar”, besser geht es ja kaum.

Vermissen Sie manchmal Ihre Mutter?


Ich hab nie das Gefühl gehabt, dass sie „weg” ist. Manchmal steige ich ins Auto und denke mir, Mutti anrufen. Ich bin auch jahrelang, nach dem Tod meiner Großmutter an ihrem Haus vorbeigefahren und habe gedacht, die Oma noch kurz besuchen, bis mir eingefallen ist, die ist am Friedhof. Das Begräbnis meiner Mutter war ein Fest. Mit bunten Gewändern, einer Dixieband auf Booten auf der Donau. Mit einem Familienessen, alle mit buntem Gewand. Es war ein heißer Sommertag in kurzen Hosen und T-Shirts. Meine Mutter hat zu Lebzeiten gesagt, es ist alles erlaubt, außer schwarzes Gewand. Wir wiederholen dieses Fest jährlich, ihr zu Ehren in der Wachau. Wir haben gesagt, wir wollen niemals
ihres Todes gedenken, sondern immer ihres Lebens, und das ist ein großer Trost.

Ein Interview von Edda Kaufmann

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Portrait von Robert Kratky

© Philipp Lipiarski © Philipp Lipiarski

„Der Tod hat mich immer nur ans Leben erinnert”

Ein Leitgedanke in der Hospizarbeit nach Cicely Saunders ist: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zu geben“. Was bedeutet für Sie Lebensqualität?

Das Leben selber zu genießen, und zwar soweit es irgendwie geht, sich nichts zu versagen, nichts auf später zu verschieben, aber natürlich das Ganze in einem klugen Abwägen der Leistbarkeiten und der Möglichkeiten, ist für mich ein grundsätzliches, sinnstiftendes Lebenskonzept. Ich muss dazu sagen, ich habe meinen Vater schon sehr früh verloren und habe schon sehr früh begonnen, über solche Dinge, wie den Tod und das Sterben, nachzudenken. Daher sind solche Gedanken für mich weder erschreckend noch überraschend. Ich habe sogar Dinge, die für den Fall meines Ablebens notwendig sind, bei mir komplett vorbereitet in einer Schublade. Bis hin zur Todesanzeige ist alles fertig. Für mich war es immer ein tröstlicher Gedanke zu wissen, wie es endet. Zumindest, soweit es in meiner Hand liegt. Der Tod hat mich immer nur ans Leben erinnert und daran, wie wichtig es ist, es zu nutzen.

Haben Sie Angst vor dem Altern oder dem Sterben?

Ich habe Angst vor Schmerzen und vor Demenz. Ich habe das bei der Großmutter meiner Exfreundin miterlebt, die ich immer wieder mal besucht habe. Wie es ist, wenn alles verloren geht, was eigentlich sinnstiftend hätte sein sollen. Wie bei einer Perlenkette, die man irgendwann mal in seinen Händen hält, und mit jeder Perle blickt man zurück, um sich daran zu erfreuen. Wenn diese Kette plötzlich reißt und die Perlen verschwinden in den Ritzen und Löchern des Fußbodens - furchtbar, also das sind Dinge, vor denen hab ich tatsächlich Angst. Vor dem Tod selber oder davor, dass mein Leben endet, nicht die Bohne.

Haben Sie Wünsche an den letzten Lebensabschnitt, sofern man diesen bewusst mitgestalten kann?

Aus heutiger Perspektive würde ich gerne alleine sterben, weil ich tatsächlich glaube, dass es besser zu mir passt. Das ist eine Überlegung, die, glaub ich auch, tatsächlich halten wird. Ich halte den Tod nicht für etwas, das noch Jahrzehnte weg ist, sondern ich habe mich immer so damit beschäftigt, als könne es morgen passieren. Aber jeder Mensch sollte individuell das Recht haben zu entscheiden. Deswegen halte ich Betreuung für etwas Wertvolles und die Menschen, die dafür sorgen, für bewundernswert. Außerdem möchte ich an einem Ort mit Ausblick sterben, ich möchte etwas sehen. Das man dabei im Freien sein kann und vielleicht ein Stück Himmel sieht, Berge oder Wasser. Das ist meine Grundvorstellung davon, wie das Sterben auszusehen hat. Ich überlege auch sehr oft, was wäre der letzte Song, den ich mir noch anhören würde: Die Neunte von Beethoven. Es muss Klassik sein, weil ein Orchester nun mal eine weitaus höhere und intensivere Dimension im Kopf und im Herzen schafft, als jede andere Art von Musik. Und ganz, ganz wichtig: Die Neunte hat keinen rechten Schluss. Das Unangenehme bei der Neunten, wenn man sie zu Lebzeiten hört, ist, sie schließt nicht ab. Es rinnt hinten so ein bisschen aus, und geht noch minutenlang dahin, ohne echtes Highlight. Nachdem ich mir den Tod immer vorstelle, als ein langsames Entschwinden, wäre das ein ideales Stück Musik.

Es gibt ein Buch der Palliativpflegerin Bronnie Ware „5 Dinge, die Sterbende am Meisten bereuen“, kennen Sie dieses Buch?

Ich kenne es nicht im Detail, aber ich weiß „mehr Zeit für Familie, weniger Arbeiten, etc. etc“. Ich betrachte es eher kritisch, denn für mich hat Arbeit immer einen enormen Teil meines Lebens ausgemacht. Ich bin sehr pflichtversessen und ich halte es für ein sehr wichtiges Lebensprinzip, mich meiner Arbeit zu widmen. Ich werde es niemals bereuen. Diese Arbeit hat mir mein Leben ermöglicht, so, wie ich es leben wollte und hat mir meine Träume erfüllt. Ich glaube aber, dass es für das Leben und für
das Ableben wichtig ist, dass man beides bewusst tut und sich für beide Fälle einen Plan zurecht gelegt hat. Ich glaube, es ist wichtig, sich mit dem Tod auseinander zu setzen, weil er zum Leben dazu gehört und das Leben erst lebenswert macht. Aber man sollte das Leben auch tatsächlich lebenswert gestalten, sei es mitkleinen oder großen Dingen. Das Leben ist wertvoll, das ist für mich die einzige Botschaft, die der Tod hinterlässt.

Man hat den Eindruck, dass Sie ein sehr intensives und bewusstes Leben führen, aber gibt es dennoch offene Wünsche für Sie?

Tausende natürlich. Ich würde gerne noch einmal völlig von vorne beginnen, mit etwas völlig anderem und da auch erfolgreich sein. Ich hätte gerne, dass Menschen, die mich heute nicht so mögen, sagen, ist ja eh ein netter Kerl. Es gibt Bücher, die ich noch nicht gelesen habe. Es gibt Filme, Länder, Städte, Menschen, usw., die mich noch interessieren. Das ist ja leider das Tragische, das man als jemand, der darauf bedacht ist, sein Leben mit möglichst viel Inhalt zu füllen, angesichts der
gebotenen Vielfalt, irgendwie verzweifeln muss.

Im Hospizbereich hat man das Gefühl, dass bei Menschen, die über die Endlichkeit nachdenken oder sich selbst in der letzten Lebensphase befinden, sehr Wesentliches hervorkommt: Die Rollen fallen weg, die Masken fallen ab. Haben Sie in Ihrem Leben das Gefühl, mit Rollen, Masken konfrontiert zu sein?

Wer wir sind, wissen wir immer erst in unseren extremsten Lebenssituationen. Meine Mutter hat die Maske oder besser gesagt den Wesenszug der schieren, völlig selbstlosen Mütterlichkeit in dem Augenblick abgelegt, wo sie das Gefühl gehabt hat, die Kinder lassen los. Auf einmal konnte sie sie selbst sein. Der Augenblick als sie gesagt hat: „Es reicht, nicht noch eine Chemo. Ich gehe nicht mehr nach Hause nach Salzburg, sondern in ein Hospiz.” Sie ruft mich an und sagt: „Ich will jetzt bald gehen.” Wir haben noch gescherzt, denn meine Mutter hatte einen sehr schwarzen Humor. Ich habe noch gesagt „Mutti, das kostet 150 Euro am Tag, je früher, desto besser.“ Wir haben beide schallend gelacht. Es war wirklich lustig, aber zwei Tage später ist sie gestorben.

Können Sie Trauer in einer für Sie passenden Form Ausdruck verleihen?

Ich bin niemand, der weint, weil jemand stirbt. Ich neige nun mal nicht dazu, mich selber zu bemitleiden. Diesen Charakterzug habe ich nie gehabt und habe ihn mir nie oder nur selten durchgehen lassen.
Ich trauere tief, wenn ich sehe, dass jemand leidet. Wenn ich sehe, wie nah der Tod meiner Mutter meinen Geschwistern geht, dann ist es etwas, das mich zutiefst traurig macht. Aber der Tod meiner Mutter  nach einem langen erfüllten Leben – wo sie dann selbst am Schluss, in ihren letzten Gesprächen, gesagt hat: „Ich bin so stolz auf alles, was war, und froh und dankbar, und ich will jetzt einfach nur gehen.” Da denke ich mir „alles klar”, besser geht es ja kaum.

Vermissen Sie manchmal Ihre Mutter?


Ich hab nie das Gefühl gehabt, dass sie „weg” ist. Manchmal steige ich ins Auto und denke mir, Mutti anrufen. Ich bin auch jahrelang, nach dem Tod meiner Großmutter an ihrem Haus vorbeigefahren und habe gedacht, die Oma noch kurz besuchen, bis mir eingefallen ist, die ist am Friedhof. Das Begräbnis meiner Mutter war ein Fest. Mit bunten Gewändern, einer Dixieband auf Booten auf der Donau. Mit einem Familienessen, alle mit buntem Gewand. Es war ein heißer Sommertag in kurzen Hosen und T-Shirts. Meine Mutter hat zu Lebzeiten gesagt, es ist alles erlaubt, außer schwarzes Gewand. Wir wiederholen dieses Fest jährlich, ihr zu Ehren in der Wachau. Wir haben gesagt, wir wollen niemals
ihres Todes gedenken, sondern immer ihres Lebens, und das ist ein großer Trost.

Ein Interview von Edda Kaufmann

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