Das Recht auf Teilhabe

Das schwierige Erbe der beinahe 50-jährigen kommunistischen Ära bis Anfang der 1990iger Jahre hat in Albanien bis heute tiefe Spuren hinterlassen. So änderte sich jetzt erst langsam das Bild von Menschen mit Behinderungen in den Köpfen und in der Mentalität. Menschen mit Behinderung werden entweder als Helden oder eben als Opfer gesehen – immer gemessen an ihrer Leistung im Leben. In vielen Fällen akzeptieren Familien immer noch nicht, ein Familienmitglied mit Behinderung zu haben. Manche werden nach wie vor zu Hause versteckt.

Kein Recht auf angemessene Ausbildung
Während der kommunistischen Ära galt es als Tragödie mit einer Behinderung leben zu müssen. Niemand sprach über professionelle soziale Betreuung. Es war letztlich die Aufgabe der Familie, sich um ihre behinderten Angehörigen zu kümmern. Ein Recht auf eine angemessene Ausbildung existierte nicht. Am besten wird das durch die Tatsache belegt, dass Institute für Taubstumme und blinde SchülerInnen der einzige Ort waren, wo sie eine Grundschulbildung erhalten konnten – unabhängig
davon welche Form der Behinderung ein Mensch mitbrachte. Die Folge war, dass bis auf sehr wenige Ausnahmen Menschen mit Behinderung keinerlei Ausbildung erhielten. So blieb die Möglichkeit jemals einen Beruf ausüben zu können, für viele nur ein frommer Wunsch. Keinerlei Selbständigkeit und die volle Abhängigkeit von den Familien, die nicht selten – auch finanziell – mit der Situation überfordert
waren. Eine Behinderung wurde geleugnet. Sie wurde – wie in vielen anderen Ländern auch – als Krankheit gesehen, die bei der betroffenen Person selbst zu beseitigen sei. Damit wurde nichts für diese Menschen unternommen, um Barrieren abzubauen oder um auch Teil der Gesellschaft sein zu können.

Behindert ist, wer behindert wird
Manches hat sich aber verbessert. Die hässliche Angewohnheit, einen Menschen wegen seiner Behinderung zu verspotten, gehört zum Glück der Vergangenheit an. Die Idee eines gemeinsamen
normalen Umgangs von Menschen mit und ohne Behinderungen ist dennoch eine große Herausforderung geblieben. Viele Menschen haben Angst vor einer Stigmatisierung durch Freunde, wenn sie Zeit mit einem behinderten Menschen verbringen. Nach wie vor gilt aber: Behindert ist, wer behindert wird. Ein würdevoller Umgang in der Öffentlichkeit ist damit nicht gebührend gewährleistet. So werden zum Beispiel Probleme und Lösungen bevorzugt mit deren Begleitpersonen oder  BetreuerInnen diskutiert als mit den betroffenen Personen direkt besprochen. Daher sind in vielen Fällen Menschen mit einer Behinderung frustriert und entwickeln ein Schuldgefühl für ihre Behinderung. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht schwer zu dem Schluss zu kommen, dass noch eine Menge zu tun bleibt, um in Albanien das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer inklusiven
Gesellschaft zu schaffen.

Kaum Mitspracherecht
Die politischen Parteien widmen dem Thema Behinderung nur wenig Engagement und Betroffene sind in Entscheidungsprozesse kaum einbezogen. Die Regierung zögert die Ausgaben zu erhöhen, was zeigt, dass dieses Feld nicht zu einer ihrer Prioritäten gehört. Ein Beispiel dazu: Im vergangenen Jahr wurde der Aktionsplan für Menschen mit Behinderung für die nächsten fünf Jahre diskutiert, aber viele
der vorgesehenen Aktivitäten sind finanziell nicht gedeckt. Das wirft natürlich große Zweifel über den Erfolg der Umsetzung auf. Was bleibt sind riesige Mengen an Gesetzen und deren komplizierte Kategorisierungen von Behinderung. Dies schafft oft Verwirrung und macht es Menschen mit einer Behinderung schwer, ihre Rechte einzufordern.

Laute Stimme für die Stimmlosen
Eine kleine Anzahl von Betroffenen hat aber ein gewisses Maß an sozialer Integration erreicht. Das hat weniger mit einer guten Staatspolitik zu tun. Es ist vielmehr das Ergebnis großer persönlicher Anstrengungen einzelner Menschen oder kirchlicher und privater Organisationen. So trägt die Caritas Albanien mit ihrer Arbeit im Bereich Menschen mit Behinderungen dazu bei, sowohl ein Beratungsangebot für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, als auch Fürsprecherin bei Behörden zu sein und Lobbying-Aktivitäten zu entwickeln, um eine laute Stimme für die Stimmlosen zu  sein. Es sind zu einem großen Teil Betroffene selbst, diesich stark machen.

Caritas im Nationalrat
Der Beitrag der Caritas Albanien wird mittlerweile
von der Gesellschaft im Allgemeinen
und insbesondere von der Regierung sehr
geschätzt. Oft fehlt es an entsprechenden
Behörden- und Beratungseinrichtungen, es
mangelt an der Mobilität von Menschen mit Behinderungen,
um ihre Rechte einzufordern. Um
dies zu ändern wurden in drei Regionen (Lac,
Vau Djes und Lezhe) die bestehenden Einrichtungen
für Menschen mit Behinderungen analysiert
und die Ergebnisse gemeinsam mit den
Behörden diskutiert. Aufgrund dieser Daten
wurden regionale Rehabilitationsprogramme
und Inklusionspläne für die Region erarbeitet,
mehr dazu im Kasten rechts. Die Tatsache,
dass die Caritas Albanien eine der beiden
Organisationen ist, die gefragt wurde, im Nationalrat
durch Menschen mit Behinderung als
Beraterin vertreten zu sein, kann schließlich als
Frucht dieses Engagements gesehen werden.
Autor: Stefan Paloka
Stefan Polka ist blind und arbeitet seit 2014
für die Caritas Albanien im Projekt „Aktiv sein
- ohne Barrieren“. Er ist für Anwaltschaft und
Rechtsberatung verantwortlich.