Liebe Leserin, lieber Leser,
durchgewirbelt werden wir in diesen Wochen durch die Corona-Krise, die uns zutiefst
verunsichert. Mit dem Anbrechen des Frühlings erfahren wir nicht nur, wie überall neues Leben
hervorsprießt, sondern eben auch wie begrenzt und endlich unser Leben ist. «Entschleunigung,
Langsamkeit, Langeweile, einen gesunden Lebens- und Arbeitsrhythmus einüben», heißen
zentrale Themen meiner Bücher. Jetzt werden uns diese unterbelichteten Werte verordnet und
wenn wir sie «nur absitzen», verpassen wir einmal mehr die Chance, einen wirklichen
Bewusstseinswandel in uns zu stärken. Es geht um die zentrale spirituelle Lebensgrundhaltung,
dass alles miteinander verwoben ist. Wir sind nie Einzelne oder Einzelner, sondern immer Teil
eines Ganzen. Deshalb vergesse ich trotz der großen Not in der Nähe all die Millionen
Flüchtlinge nicht, die weiterhin durch unser Teilen und unsere Proteste auf uns zählen ...
Auch ich ermutige uns alle, zu Hause zu bleiben, was uns spüren lässt, wie sehr uns gerade jetzt
Berührungen und Begegnungen fehlen und zugleich eine Einladung ist, auch bei uns selbst zu
Hause zu sein. Achtsam ganz bewusst regelmäßig am Tag still zu werden, im Sitzen, im Yoga
oder ... ist auch ein wichtiger gesellschaftspolitischer Beitrag, um der Angst nicht die Regie zu
überlassen. Auch im achtsamen Dasein liegt jetzt unsere Segenskraft, die wir miteinander als
beherzt-solidarische Menschen entfalten können. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen,
herausgefordert unserem Leben auf den Grund zu gehen: Was ist wirklich wesentlich? Wofür
brennt mein inneres Feuer? Was möchte ich nachhaltig ändern, mir, den anderen, der
Klimagerechtigkeit zuliebe?
So wichtig in diesen Tagen die Information ist, weil sich jeden Tag so vieles ändert, so sehr
ermutige ich uns, uns zu schützen vor einem irrealen Hochrechnen von Sorgen, vor nur
negativen Meldungen, die unsere Ängste nähren und uns zu viel Energie kosten, die wir für
unsere kreative Trotzdem-Hoffnung brauchen. Dies ist nicht einfach, jedoch möglich. Mein
Mitgefühl lässt mich manchmal nachts aufschrecken und dann erwache ich morgens mit einer
Schwere. Bleischwer wird mein Aufstehen, wenn ich meine Ängste bekämpfe und mich
abwerte, weil ich doch weiter sein müsste in der Lebenskunst des Vertrauens im Ungewissen ...
Bei mir selbst zu Hause sein, heißt für mich in diesen verunsichernden Zeiten, auch gut mit mir
selbst befreundet zu sein, in dem ich meine Ängste ernstnehme und ihnen zugleich Grenzen
setze, weil sie nur ein Teil von mir sind und ich nicht bereit bin, ihnen alle Zimmer in meiner
inneren Wohnung zu überlassen. Es gelingt mir mehr oder weniger und das ist gut so!
Konkret heißt es für mich, regelmäßig den Tag hindurch einen Moment innezuhalten, tief ein
und auszuatmen, beide Füße fest auf dem Boden und den heilend-göttlichen Atem fließen zu
lassen, um wahrzunehmen, was ist, ohne es zu bewerten ...mich zu erinnern, immer noch viel
mehr zu sein ... ein Segen zu sein mit meiner Angst und meiner Zuversicht ...
Gerne teile ich mit euch noch eine Meditation, die ich soeben zum aktuellen Hungertuch von
Fastenopfer/Brot für alle/Misereor geschrieben habe, als Ergänzung zum Meditationsheft, das
ich im letzten Rundbrief vorgestellt habe. Darin verdichtet sich meine Hoffnung, dass wir
einander herzlichst verbunden bleiben und einander segnend das Rückgrat stärken können,
jeden Tag neu ...
Mit herzlichen Segenswünschen
Pierre Stutz
Zu-Grunde gehen als Hoffnungskraft
Unser gemeinsames Wohnen im Schöpfungshaus
ist zerbrechlich und frag-würdig geworden
wir sind auf uns selbst zurückgeworfen
schonungslos konfrontiert mit der Härte des Lebens
In der Achterbahn der Gefühle
wechseln sich Angst und Vertrauen ab
dunkle Gedanken wollen uns isolieren
in der Panik vor dem Zugrunde gehen
Der erfahrene Wegbegleiter aus Nazareth
bestärkt uns in seiner Trotzdem-Hoffnung
unserem Dasein endlich auf den Grund zu gehen
weil die Würde allen Lebens uns verbindet
Verletzlich und aufgehoben im goldenen Lebenskreis
buchstabieren wir das Leben neu
bleiben nicht fixiert auf unsere Einschränkungen
sondern entwickeln eine beherzte Solidarität
Grund-legend in unserem Zusammensein
ist eine neue Wirtschaftsordnung
die Menschen nicht in die Flucht treibt
die Ökologie und Ökonomie nicht mehr trennt
Äußerlich wird unser Zusammensein heruntergefahren
innerlich kann es durch unseren Bewusstseinswandel
eine längst not-wendende Lebensqualität fördern
in der Dankbarkeit und Mitgefühl wachsen können
Manchmal feiern wir ganz unerwartet
sogar mitten in der Krise ein Fest der Auferstehung
Ängste und Verlorenheit werden aufgeweicht
und ein Vertrauen in die Liebe ist da
Pierre Stutz