Zum Nachdenken: Neu anfangen im Alten

Als ich vor mittlerweile etwa 20 Monaten meinen ersten Arbeitstag in der Caritas hatte, war meine Seele gleich in der Früh etwas irritiert: Der Weg vom Bahnhof in die Caritas-Zentrale in der Hasnerstraße führte mich durch die Innenstadt von St.Pölten. Da bin ich aufgewachsen; durch diese Gassen bin ich schon als Kleinkind mit meiner Mutter gegangen. Alt bekanntes Terrain voller Erinnerungen. Zugleich war ich nun, ein paar Jahrzehnte und viele Erfahrungen später, unterwegs zu meinem neuen Job. Alles unbekannt und voller Erwartungen.

Die Spannung zwischen alt und neu, vertraut und ungewohnt hat mich schon oft beschäftigt; in diesen Tagen der schrittweisen Normalisierung nach dem Corona-Lockdown ist sie mir wieder sehr präsent: Auch jetzt komme ich und kommen viele von uns im privaten Leben, in der Caritas wie insgesamt in der Gesellschaft zurück in die bekannten Räume und Abläufe, Gewohnheiten und Handlungsformen – und zugleich haben wir Monate hinter uns, die für die meisten starke und für manche sehr einschneidende Erfahrungen gebracht haben. Werden diese Erfahrungen unseren bekannten Alltag neu prägen? Werden sie sich auswirken? Und wie?

Ich merke: Es ist ungewohnt, wieder durch die Stadt zu gehen und im Büro die KollegInnen zu treffen. Es ist schön und auch beruhigend, wieder anzuknüpfen und normal arbeiten zu können. Aber will ich wirklich genauso weitermachen wir vorher? Eine Unterbrechung ist doch auch eine Chance, manche ausgetretene Bahn zu verlassen und manches gleich anders anzugehen oder neu zu beginnen. 

Der Theologe J.B Metz hat die heilsame Unterbrechung als Inbegriff von Religion gesehen: gottgeschenkte Chance zur Verbesserung der Welt. Denn „normal“ sind (nicht nur in den USA) allzu oft Egoismus, Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung etc. Solches zu unterbrechen, macht die Tür auf für das Neue eines friedlichen und freudvollen Miteinander.

Aus einigen Bereichen der Caritas höre ich, dass das langsame Hochfahren anstrengender und mühsamer ist als der plötzliche Shutdown – und noch mehr Kommunikation und gemeinsame Abstimmung braucht. Für andere Bereiche hat es gar keine so klare Unterbrechung gegeben und für wieder andere ist sie noch gar nicht vorbei. Die große Vielfalt in unserem Unternehmen zeigt sich auch hier.

Jetzt scheint mir der Moment dafür zu sein, unsere Erfahrungen in dieser Vielfalt und Verschiedenheit auszutauschen, füreinander sichtbar zu machen und miteinander auszuwerten. Der Einschnitt, den die Corona-Zeit für alle auf unterschiedliche Weisen gebracht hat, birgt in sich Potenzial: z.B. Erkenntnisse, was es braucht, um für ähnliche Situationen besser gerüstet zu sein; aber auch Ahnungen und Ideen, wie so manches grundlegender anders, besser, sinnvoller laufen könnte und wie wir unser Leben privat, in der Caritas und insgesamt solidarischer und nachhaltiger gut gestalten könnten … „Corona“ war ja auch eine Zeit der Kreativität, des Zusammenhalts und der Träume. Ich hoffe, wir lassen sie nicht einfach nur vorbeiziehen, sondern packen auch die eine oder andere Gelegenheit zur positiven Veränderung beim Schopf.