Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr,
sondern um Kraft für den Alltag.
Gib mir nicht, was ich mir wünsche,
sondern was ich brauche. Das weißt du allein.
Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte.
Mach mich findig und erfinderisch
in der richtigen Zeiteinteilung.
Schenke mir Fingerspitzengefühl,
um herauszufinden, was erstrangig und was zweitrangig ist.
Hilf mir, die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen.
Bewahre mich vor dem naiven Glauben,
es müsste im Leben alles glatt gehen.
Schenke mir die nüchterne Einsicht,
dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Rückschläge
eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind,
wodurch wir wachsen und reifen.
Ich möchte mich nicht beeinflussen lassen
vom Gerede der Leute, alles sehen und vieles übersehen.
Gib mir die Kraft, das zu ändern, was zu ändern ist,
die Geduld, das zu ertragen, was nicht zu ändern ist,
und die Weisheit, beides voneinander zu unterscheiden.
Lass mich erkennen, dass nur eines notwendig ist:
deinen Willen zu erfüllen. Gib du die Kraft dazu.
Schicke mir im rechten Augenblick jemand,
der den Mut hat, die Wahrheit in Liebe zu sagen.
Schenke mir die wichtige Einsicht,
dass ich mich gelegentlich irren kann.
Hilf mir, mich in Geduld zu ertragen.
Lass mich erkennen, dass es zur Reife eines Menschen gehört,
sich helfen zu lassen.
Lass mich nicht vergessen, dass einem
das Wichtigste im Leben geschenkt wird
und dass man sich das Wichtigste im Leben
nicht selbst sagt, sondern einem gesagt wird.
Schenke mir Menschen, die mir von Zeit zu Zeit sagen:
„Es ist gut, dass es dich gibt!“
Du weißt Herr, dass ich ein paar Freunde brauche.
Gib mir das Glück, Freundschaften zu pflegen.
Ich will gut zuhören und nicht nachtragend sein.
Ich möchte trösten, aber bewahre mich vor der Gefahr,
dass ich andere nur vertröste.
Ich will dem anderen erlauben, anders zu sein.
Lass mich bei Leuten Gutes finden, wo ich es nicht vermute,
und Talente, wo ich sie nicht zugetraut hätte.
Befreie mich vor der Einbildung, ich müsse anderer Leute
Angelegenheiten in Ordnung bringen.
Bewahre mich vor der fatalen Gewohnheit,
bei jeder Gelegenheit und über jedes Thema
mitreden zu wollen.
Halte mich fest, wenn ich versucht bin,
bitter oder verbittert zu werden.
Hilf mir den nächsten Schritt zu tun, nicht den übernächsten,
und lass mich hin und wieder über mich selbst lachen.
Verleihe mir die nötige Phantasie,
im rechten Augenblick ein Päckchen Güte,
mit oder ohne Worte, an der richtigen Stelle abzugeben.
Lass mich ein Fenster sein, durch das du mit deiner
unendlichen Barmherzigkeit hindurch scheinst.
(Nach Antoine de Saint-Exupéry)