IV. Jesus begegnet seiner Mutter
schon längst abgenabelt
und bleibt doch für immer
Fleisch von ihrem Fleisch
Transfusion des Schmerzes
für die Übertragung genügt
weniger als ein Blick
unbegrenzt
die Reichweite
mütterlicher Liebe
Andreas Knapp (aus: Andreas Knapp, Höher als der Himmel. Göttliche Gedichte, Echter Verlag, Würzburg, 5. Auflage 2019.)
Bericht einer Mutter
Als vor genau drei Jahren die Polizei vor unserer Tür stand und meinen damals 17-jährigen Sohn verhaftete, brach für mich eine Welt zusammen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mein Sohn das gemacht hat und ich es nicht mitbekommen habe.
D. ist das erste Kind von fünf und mein absolutes Wunschkind. Ich habe meine Söhne alleine großgezogen.
D. war ein sehr guter Schüler und besuchte eine höhere Schule. Er ist ein Technik-Genie und weiß alles über Computer und Programmieren. Schlussendlich brachte ihn das auch ins Gefängnis.
Er bekam drei Jahre und davon zwei Jahre auf Bewährung. Als er nach einem Jahr herauskam, dachte ich: jetzt schafft er das und alles wird gut. Er hat gegen die Bewährung verstoßen und musste wieder ins Gefängnis.
Ich besuche ihn zwei Mal im Monat und wir telefonieren zwei bis drei Mal in der Woche. Er ist mein Kind und ich werde immer hinter ihm stehen, egal, was er getan hat und noch tun wird. Ein Kind ist bedingungslose Liebe und man bleibt ein Leben lang verbunden.
Als ich D. das erste Mal besuchen war, habe ich mich geschämt, dann habe ich mir die anderen Besucher angesehen und dachte, vielleicht ist das auch eine Mutter oder ein Vater, der sein Kind besuchen geht. Ich dachte mir, wie gut, dass es Eltern gibt, die ihre Kinder nicht fallen lassen. Heute freue ich mich auf die Besuche, weil ich weiß, dass sie meinem Sohn Kraft geben und es ist das einzige, was ich im Moment für ihn tun kann: für ihn da sein und ihm zuhören.
Was habe ich mir für D. gewünscht: dass er glücklich ist und geliebt wird.
Was ich mir für D. für die Zukunft erhoffe: dass er glücklich ist und geliebt wird, dass er das alles gut übersteht und hinter sich lassen kann.
Traurig macht mich im Moment die Situation mit Corona, dass ich ihn nicht besuchen kann und auch dass seine Brüder ihn sehr vermissen und oft fragen, wann er wieder kommt.
Kraft bekomme ich von meinen Kindern, von meinem Lebensgefährten … ihn habe ich vor zweieinhalb Jahren in meiner schwersten Zeit kennengelernt und er steht mir immer zur Seite.
Von meinen Freunden wissen nur zwei oder drei, wo D. ist, und auch sie geben mir Kraft. Ich kann mich immer melden, wenn ich D. vermisse oder über ihn reden mag.
Auch wenn D. mir viele Tränen, Sorgen, Verzweiflung und Vorwürfe gebracht hat – ich liebe ihn und bin stolz auf ihn. Ich werde immer hinter ihm stehen und für ihn da sein.
(Die Autorin möchte anonym bleiben.)
Aus: Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan, 76. Jahrgang, Nr.1 Ostern 2021; Thema: Am Kreuzweg – ein insgesamt lesenswertes Heft, downloadbar unter: https://www.dompfarre.info/client/downloads/Pfarrblatt/PB
%202021%20Ostern%20(003).pdfOder: www.dompfarre.info/Nachlese/Pfarrblatt/ (Ostern 2021 anklicken)